Oxydativer Stress

Definition

Freie Radikale

Freie Radikale haben unter gesundheitsbewussten Menschen einen denkbar schlechten Ruf. Sie sollen Alterungsprozesse beschleunigen und Krebs begünstigen. Inzwischen aber gibt es immer mehr Studien, die vermeintliche Wahrheiten über freie Radikale, oxidativen Stress und Zellalterung in ein sehr viel stärker differenziertes Licht stellen. Deutlich kritischer gesehen wird auch der Nutzen von künstlichen Vitaminen als Antioxidantien oder Radikalenfänger.

Glaubt man der Werbung, sind freie Radikale die Ursache fast aller gesundheitlichen Übel. Vorzeitiges Altern, Alzheimer, Krebs, Schlaganfall oder Arteriosklerose: Samt und sonders Erkrankungen, die durch die als „aggressiv“ beschriebenen Sauerstoffverbindungen begünstigt, ausgelöst oder gefördert sein sollen. Das Gegenmittel hat die Werbung auch parat: Vitamine, die als Antioxidantien oder Radikalenfänger in den Zellen aufräumen – und die freien Radikale unschädlich machen. Doch stimmt das auch? Die aktuelle Forschung entfernt sich immer weiter davon, freie Radikale zu verdammen. Und verweist auf die mitunter sogar tödlichen Risiken von Vitaminen als Radikalenfänger.

Was sind freie Radikale?

Freie Radikale sind besonders reaktionsfreudige Sauerstoffverbindungen in unseren Zellen. Sie sind keineswegs Fremdkörper oder Gift, sondern natürlicher Bestandteil der Biochemie unseres Körpers. Freie Radikale erfüllen eine Vielzahl von Funktionen. Sie regulieren beispielsweise die Aktivität der Zellkraftwerke, der Mitochondrien – und haben so einen deutlichen Einfluss auf das Zellwachstum. Der Zitronensäurezyklus, mit dem unsere Zellen in den Mitochondrien Energie gewinnen, ist ohne Oxidation und freie Radikale nicht möglich. Das Immunsystem setzt freie Radikale ein, um unkontrolliert wachsende Zellen abzutöten oder Krankheitserreger zu zerstören. Das sind nur einige Beispiele für Funktionen der freien Radikale. Sie sind also nicht nur die „bösen“ aggressiven Sauerstoffverbindungen, als die sie in vielen populären Veröffentlichungen dargestellt werden.

Oxidativer Stress durch freie Radikale

Woher aber kommt der schlechte Ruf der freien Radikale? Neben ihren wichtigen Aufgaben in der Zelle haben freie Radikale eine andere Seite: Sie können – wie so viele andere Substanzen auch – den Organismus tatsächlich belasten. Mediziner sprechen von oxidativem Stress. Damit bezeichnen sie einen Zustand, in dem die Konzentration der freien Radikale höher ist als nötig und gleichzeitig ein Gegengewicht in Form von Antioxidantien fehlt oder nicht stark genug ausgeprägt ist.

Symptome

Oxidativer Stress muss den Organismus nicht schädigen. Starke körperliche Belastungen beispielsweise verursachen oxidativen Stress. Nach Ansicht vieler Experten ist diese Form des oxidativen Stresses sinnvoll. Sie setzt die Reize, die etwa im Wachstum oder bei Sportlern die Entwicklung der Muskeln ankurbeln oder in der Reha-Behandlung nach einer Verletzung oder Operation die Heilungsprozesse beschleunigen. Auf diese Weise sind freie Radikale beteiligt, wenn Bewegung zum Turbo für Heilung und Vorsorge wird.

Negative Symptome von oxidativem Stress

Wenn die natürliche Balance des Stoffwechsels in den Zellen gestört wird, steigt das Risiko, dass freie Radikale und oxidativer Stress die Zelle schädigen. Ob Lungenkrebs bei Rauchern, Bauchspeicheldrüsenkrebs bei Alkoholikern oder Hautkrebs nach vielen Sonnenbränden: Viele Studien legen einen Zusammenhang von vermehrt auftretenden freien Radikalen, oxidativem Stress und Krebserkrankungen nahe. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den freien Radikalen und der Krebsentstehung ist bislang aber nicht sicher nachgewiesen.

Freie Radikale schädigen die Erbsubstanz – stimmt das?

Freie Radikale schädigen bei der Zellteilung die Erbsubstanz, die DNA. Das ist die wohl am weitesten verbreitete vermeintliche Tatsache über freie Radikale. Diese Theorie formulierte der amerikanische Biologe Denham Harman bereits in den 50iger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Er machte die freien Radikale so für die Alterungserscheinungen von Haut und Organen verantwortlich. Eindeutig bewiesen ist seine These fast 70 Jahre später allerdings noch immer nicht.

Ursachen

Oxidativer Stress entsteht allerdings in der Regel nicht wie durch Zauberhand. Die wichtigsten Ursachen für das Überangebot an freien Radikalen und ein Unterangebot an Antioxidantien sind Belastungen, die durch Krankheiten, Verhaltensweisen oder Umwelteinflüsse entstehen. Mediziner sprechen von endogenen und exogenen Ursachen für oxidativem Stress.

Exogene Ursachen für die Vermehrung von freien Radikalen

Die wichtigsten Ursachen für die Vermehrung von freien Radikalen und Verminderung von Radikalenfängern sind durch unser Verhalten und durch Umwelteinflüsse geprägt. Das sind vor allem:

  • Rauchen
  • Drogenmissbrauch
  • Alkoholmissbrauch und Alkoholismus
  • Stress
  • bestimmte Medikamente wie Antibiotika, Zytostatika oder Hormonpräparate
  • Smog, Autoabgase, Luftverschmutzung
  • UV-Strahlen, Strahlenbelastung, Röntgenstrahlen
  • Umweltgifte wie Pestizide, Dioxine, Methan, Ozon, Lösungsmittel, Schwermetalle

Endogene Ursache für oxidativen Stress

Von Umwelteinflüssen und Verhaltensweisen unabhängige also endogene Ursachen für oxidativen Stress sind beispielsweise

  • Störungen der Immunabwehr (Abwehrschwäche)
  • Entzündungen und Infektionen
  • Verletzungen oder Operationen
  • Allergien und autoimmune Prozesse wie chronisch-rheumatische Gelenkentzündungen
  • ausgeprägte körperliche (auch sportliche) Belastung

Ganz unabhängig von Verhaltensweisen sind diese endogenen Ursachen letztlich aber auch nicht. So geht Abwehrschwäche nicht selten auf einseitige Ernährung und Bewegungsmangel zurück.

Untersuchung

Die Diagnose von oxidativem Stress erfolgt vor allem durch Blut- und Urinuntersuchungen, die das Verhältnis von Antioxidantien und freien Radikalen aufzeigen.

Behandlung

Antioxidantien sind Gegenspieler der freien Radikale. Damit es nicht zu einem anhaltenden oxidativen Stress mit negativen Folgen kommt, ist es also durchaus sinnvoll, den Körper mit Antioxidantien zu versorgen. Die wichtigsten Antioxidantien sind die Vitamine A, C, E sowie der Mineralstoff Zink. Unstrittig ist, dass diese Mikronährstoffe auf vielfältigste Art in den Stoffwechsel eingreifen. Unstrittig auch, dass sie eine Funktion als Antioxidantien haben. Und dass sie so helfen, oxidativen Stress zu vermeiden und den Organismus schützen helfen.

Der Mythos der gesunden Radikalenfänger

Die unbestreitbar positiven Eigenschaften der Antioxidantien haben sich in den vergangenen Jahren zu einem wahren Mythos der gesunden Radikalenfänger verdichtet. Ob Alterungsprozess, Cholesterinspiegel, Krebsrisiko, Demenz oder Immunsystem – immer mehr Menschen schreiben den Antioxidantien beinahe schon Wunderkräfte zu. Entsprechend steigt der Absatz von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten in immer größere Höhen. Gut eine Milliarde Euro geben die Deutschen jährlich für Nahrungsergänzungsmittel aus. 75 Prozent davon für die Selbstbehandlung.

Komplikationen statt Nutzen durch Vitamine

Gerade in der Selbstbehandlung verfahren viele nach dem Leitsatz „Viel hilft viel“. Im günstigsten Fall ist es lediglich Geldverschwendung, wenn teuer bezahlte Vitamine und Mineralstoffe mit dem Urin einfach wieder ausgeschieden werden. Wenn es nicht so gut läuft, kommt es zu Überdosierungen mit zum Teil ernsthaften Folgen oder lebensbedrohlichen Komplikationen.
Keine Frage: Vitamine sind lebensnotwendig – und in passender Dosierung fördern sie die Gesundheit. Sie können aber auch Schaden anrichten. In der Werbung für Vitamin A und E wird beispielsweise immer wieder behauptet, die Kombination könne das Risiko für Lungenkrebs bei Rauchern senken. Richtig ist hingegen: Schon 1994 musste eine große amerikanische Studie abgebrochen werden, weil die Gabe der Vitamine A und E an Raucher die Lungenkrebsrate gefährlich in die Höhe schnellen ließ. Ähnliche Ergebnisse lieferte eine weitere große Auswertung von Studien über die Wirkungen von Antioxidantien.

Vitaminpräparate mit den Vitaminen C und E haben entgegen den Erwartungen vieler Sportler keinen positiven Effekt auf das Muskelwachstum und die Ausdauer. Im Gegenteil: Die Einnahme der Vitaminpräparate kann das Muskelwachstum sogar bremsen.

Bedarf an Antioxidantien risikolos decken

Wenn freie Radikale und Antioxidantien in den Zellen im Gleichgewicht sind, drohen keinerlei gesundheitliche Gefahren, Einschränkungen oder vorzeitige Verschleißerscheinungen durch oxidativen Stress. Eine abwechslungsreiche Ernährung mit frischen Lebensmitteln und regelmäßige Bewegung an der frischen Luft reichen in den allermeisten Fällen aus, um unseren Körper ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen zu versorgen.

Aus medizinischer Sicht ist vollkommen klar: Gesunde Menschen brauchen in aller Regel keine Vitamin- und Mineralstoffpräparate. Und falls doch: Um Risiken zu vermeiden, sollten Sie Antioxidantien gegen freie Radikale nur nach Absprache mit Ihrem Arzt einsetzen.

Autor: Charly Kahle,  Stand: 15.05.2018

Quelle: https://www.meine-gesundheit.de/krankheit/krankheiten/oxidativer-stress